Fünf Wochen vor dem UN-Klimagipfel im brasilianischen Belém (COP30) offenbart eine heute veröffentlichte Studie, welche Konzerne für die massive Expansion fossiler Aktivitäten in Lateinamerika und der Karibik verantwortlich sind – und welche Banken und Investoren diese Aktivitäten unterstützen. Herausgeber sind die NGOs urgewald (Deutschland), Arayara International Institute (Brasilien), FARN (Argentinien), Conexiones Climáticas (Mexiko) und Amazon Watch (USA/Peru/Ecuador). Parallel zur Studie wurden zwei interaktive Online-Dashboards veröffentlicht, die zeigen, wo die aktuellen Expansionsprojekte geplant sind und welche Konzerne jeweils verantwortlich sind, sowie, welche Banken und Investoren dahinterstehen.
Studie zum Download (Englisch):
https://cloud.urgewald.org/index.php/s/7GJAkNcQeCFtW4A
Dashboard zu fossilen Expansionsprojekten:
http://monitor.whofundsfossilfuels.com/
Finanz-Dashboard:
http://monitor.fossilfuelfinance.com/
Die Studie offenbart die 190 Unternehmen aus 42 Ländern, welche in der Region neue Öl- und Gasfelder erkunden bzw. erschließen oder neue Infrastruktur für fossile Brennstoffe entwickeln. „Lateinamerika und die Karibik sind ein globaler Hotspot der fossilen Expansion. Mächtige Konzerne wie Petrobras, ExxonMobil, YPF und Chevron sind fest entschlossen, so viel Öl und Gas wie möglich zu fördern, bevor ihre Geschäfte durch politische Netto-Null-Vorgaben unterbunden werden“, sagt Heffa Schücking, Geschäftsführerin von urgewald und Hauptautorin des Berichts.
47 Prozent aller neuen Öl- und Gasvorkommen, die derzeit in Lateinamerika und der Karibik erschlossen werden, befinden sich in Brasilien, dem Gastgeberland der COP 30. Die brasilianische Erdölaufsichtsbehörde ANP gibt viele der ökologisch empfindlichsten Regionen des Landes für die Öl- und Gasausbeutung frei – darunter das Große Amazonas-Riffsystem und vormalige Schutzgebiete in der Amazonasregion.
„Der Amazonas ist bereits gefährdet und jetzt wird seine Zukunft verkauft, um für ein paar Jahrzehnte Öl dort zu fördern“, sagt Nicole Figueiredo de Oliveira, Geschäftsführerin von Arayara. Der brasilianische Staatskonzern Petrobras ist mit 29 Prozent der Gesamtmenge größter einzelner Entwickler neuer Öl- und Gasfelder in Lateinamerika und der Karibik. „Die brasilianische Regierung behauptet die Energiewende voranzutreiben, doch sie hat nicht einmal einen Plan für die Transformation ihres eigenen Ölkonzerns“, kritisiert Oliveira.
Expansion der Öl- und Gasinfrastruktur
Verantwortliche Unternehmen haben eine wahre Flut neuer Öl- und Gasinfrastruktur in Lateinamerika und der Karibik angekündigt. Diese Projekte benötigen massive Vorabinvestitionen und sind für eine Betriebsdauer von 30 bis 50 Jahren ausgelegt. Einmal in Betrieb genommen, werden sie über Jahrzehnte gewaltige CO2-Emissionen in die Atmosphäre pumpen.
Mehr als 8.800 km neue Öl- und Gaspipelines sind in der Region geplant. Zu den umstrittensten gehört das argentinische Projekt Vaca Muerta Oleoducto Sur (VMOS), das die zweitgrößte Schieferöl- und -gaslagerstätte der Welt in Vaca Muerta mit dem Golf von San Matías verbinden würde – einem atemberaubenden Meeresökosystem mit einer florierenden Tourismusindustrie. Das Projekt würde den Golf zu einem Exportzentrum für fossile Brennstoffe machen, in dem ständig gewaltige Rohöltanker ein- und auslaufen.
Im Juli 2025 genehmigte ein Konsortium aus 16 Banken und Investoren unter der Führung von JPMorgan, Citi, Deutsche Bank, Itaú und Santander einen Kredit in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar für das Projekt: der größte private Infrastrukturkredit in der Geschichte Argentiniens. „Diese Ölpipeline zerstört die unersetzliche Artenvielfalt des Golfs von San Matías und führt uns in die dystopische Zukunft, die in den IPCC-Berichten beschrieben wird. Davon mögen Ölkonzerne und einige Banken profitieren. Doch es bleibt ein Umweltverbrechen, das der regionalen Wirtschaft und der Mehrheit der Bevölkerung schadet“, sagt Ariel Slipak, Recherchekoordinator bei FARN Argentina.
In Lateinamerika und der Karibik sind 19 neue Exportterminals für Flüssigerdgas (LNG) geplant oder bereits in der Entwicklung. Wenn diese Projekte fertiggestellt würden, könnten sie mehr als 97 Millionen Tonnen LNG pro Jahr produzieren: eine Steigerung der Gas-Verflüssigungskapazität in der Region um 470 Prozent. Mehr als zwei Drittel der neuen Exportkapazitäten für LNG in der Region sind in Mexiko geplant, wobei sich der Großteil der Projekte auf den Golf von Kalifornien konzentriert. Dieses unberührte Meeresgebiet wird oft als „Aquarium der Welt“ bezeichnet, da hier 900 Fischarten und 39 Prozent der weltweiten Meeressäugetierarten zu finden sind.
In ganz Mexiko gibt es Proteste, die einen Stopp dieser LNG-Projekte fordern. Pablo Montaño, Geschäftsführer von Conexiones Climáticas, sagt: „Diese Projekte dienen nicht den Menschen in Mexiko. Sie werden Fracking-Gas aus den USA importieren, es verflüssigen und dann direkt nach Asien verschiffen. Die Verflüssigung von fossilem Gas ist ein unglaublich schmutziges Geschäft und wir würden mit der Umweltverschmutzung, den Gesundheitsfolgen und der Zerstörung eines unserer wichtigsten Ökosysteme alleingelassen.“ Etwa die Hälfte des Fischfangs in Mexiko kommt aus dem Golf von Kalifornien.
Ausbau von Gaskraftwerken
In Lateinamerika und der Karibik werden Gaskraftwerke oft mit importiertem Brennstoff betrieben, was die betroffenen Länder anfällig macht für volatile globale Märkte und geopolitische Veränderungen. Dennoch sind in Lateinamerika und der Karibik neue Gaskraftwerkskapazitäten im Umfang von über 54.000 Megawatt (MW) geplant oder bereits im Bau. Auf Brasilien und Mexiko entfallen 65 Prozent bzw. 21 Prozent dieser Expansion innerhalb der gesamten Region.
Die drei größten Entwickler von Gaskraftwerken sind CFE aus Mexiko sowie Eneva und Porto Norte Fluminense aus Brasilien. „Diese Projekte dienen der Gaslobby und schaden allen anderen. Erneuerbare Energien sind demgegenüber reichlich vorhanden, sauberer, billiger und können auch Gemeinden versorgen, die keinen Zugang zum Stromnetz haben“, kommentiert Oliveira.
Schuldenfinanzierte Expansion fossiler Brennstoffe
Groß angelegte Infrastrukturprojekte führen oft zu einer massiven Verschuldung. In einigen Ländern Lateinamerikas und der Karibik ist die Notwendigkeit, internationale Banken und Anleihegläubiger zu bedienen, ein Treiber weiterer fossiler Expansion. Peru ist ein typisches Beispiel dafür. Block 64 nahe der Grenze zu Ecuador ist eines der umstrittensten Ölfelder Perus. Mehr als 7.600 km² Regenwald liegen im Bereich des Feldes, ebenso das Land von mindestens 22 indigenen Gemeinschaften, darunter die Achuar, Wampís und Chapra. In den vergangenen 30 Jahren hat ihr unerschütterlicher Widerstand sechs Ölkonzerne zum Rückzug gezwungen und die Förderung zum Erliegen gebracht.
Um die Kredite von Deutsche Bank, Santander, Bank of America und HSBC für ein überdimensioniertes Raffinerieprojekt zurückzuzahlen, versucht die nationale Ölgesellschaft Petroperú nun verzweifelt, den Betrieb in Block 64 wieder aufzunehmen. „Banken, die fossile Infrastruktur in Peru finanzieren, kümmern sich wenig darum, woher das Rohöl kommt und haben es auch versäumten, die betroffenen Menschen zu befragen, deren Heimat geopfert wird. Als Reaktion darauf haben indigene Völker klargestellt, dass in ihrem Gebiet kein Öl gefördert werden darf. Die Banken können nicht länger so tun, als wüssten sie nichts“, sagt Mary Mijares, Kampagnenmanagerin bei Amazon Watch.
Die Geldgeber hinter der fossilen Flut in der Region
Zwischen 2022 und 2024 haben 297 Banken insgesamt 138,5 Milliarden US-Dollar an Unternehmen vergeben, die neue fossile Projekte in der Region entwickeln. Der größte Geldgeber darunter ist die spanische Bank Santander (9,9 Mrd. USD), gefolgt von JPMorgan Chase (8,1 Mrd. USD), Citigroup (7,9 Mrd. USD) und Scotiabank (7,2 Mrd. USD).
92 Prozent der Bankenfinanzierungen für fossile Expansion in der Region kommenaus Ländern außerhalb der Region – vor allem aus Europa, den USA, Kanada, China und Japan. Im Banken-Ranking des Berichts taucht die erste lateinamerikanische Bank, Itaú Unibanco, erst auf Platz 15 auf.
Gleichzeitig halten nach letzten Recherchestand mehr als 6.400 institutionelle Investoren Aktien und Anleihen im Wert von 425 Milliarden US-Dollar von Unternehmen, die neue fossile Projekte in Lateinamerika und der Karibik vorantreiben. 96 Prozent der institutionellen Investitionen in solche Unternehmen werden außerhalb der Region gehalten. Die drei größten Investoren sind Vanguard (40,9 Mrd. USD), BlackRock (35,3 Mrd. USD) und Capital Group (16,8 Mrd. USD), alle aus den USA.
Rolle von Banken und Investoren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich
Die Deutsche Bank ist mit einem Finanzvolumen von 3,4 Milliarden US-Dollar zwischen 2022 und 2024 viertgrößte europäische Geldgeberin von fossiler Expansion in Lateinamerika und der Karibik.
Philipp Noack, Finanz-Campaigner bei urgewald, kommentiert: „Die Deutsche Bank hat im ersten Halbjahr 3,3 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Diesen Gewinn erwirtschaftet sie auch durch Geschäfte mit fossilen Brennstoffen und auf Kosten von Lebensräumen im Amazonas. Sie ermöglicht Geschäfte im Zusammenhang mit Fracking, Ultra-Tiefsee-Bohrungen und der Abholzung des Regenwalds. Keine Geschäftsstrategie kann dies rechtfertigen. Wer eine zukunftsfähige Bank sucht, sollte sich schnellstmöglich von der Deutschen Bank verabschieden.“
Die Schweizer UBS liegt mit 1,4 Milliarden US-Dollar auf Rang 8 innerhalb Europas. Deutlich stärker als im Bankgeschäft war die UBS als Investorin beteiligt: Mit Aktien- und Anleiheinvestitionen in verantwortliche Unternehmen mit einem Gesamtvolumen von 5,5 Milliarden US-Dollar lag sie weltweit auf Rang 14.
Johanna Frühwald, Finanz-Campaignerin bei urgewald, sagt: „Kurz vor der 30. Weltklimakonferenz in Brasilien ist diese Analyse nicht nur ein Weckruf für Banken und Investoren, sondern auch für Aufsichts- und Regulierungsbehörden. Die UBS trägt als Geldgeberin maßgeblich zur unwiederbringlichen Zerstörung von Lebensräumen und Ökosystemen in Lateinamerika bei. Es wird Zeit, dass der Schweizer Finanzmarkt fossile Expansion als das behandelt was es ist: ein ökologisches sowie ein systemisches Risiko für den Finanzsektor.“
Österreichische Banken tauchen zwar nicht im Bereich der Bankenfinanzierung auf, allerdings waren die Erste Group und die Raiffeisen Banking Group als Investoren bei den expandierenden fossilen Konzernen in der Region aktiv. Die Erste Group hielt zum Stichtag Aktien und Anleihen im Gesamtwert von 55,1 Millionen US-Dollar, Raiffeisen im Gesamtwert von 54,7 Millionen US-Dollar.
Frühwald sagt: „Diese Investitionen gehen auf Kosten von indigenen Gemeinschaften und schützenswerten Lebensräumen. Es wird Zeit, dass Erste Group und Raiffeisen ihre Portfolios aufräumen und in die Energiewende statt fossile Geschäftsmodelle investieren.“
Eine Geldspur bis in die Vorstandsetagen internationaler Banken
Die Finanzierung des Ausbaus fossiler Brennstoffe in Lateinamerika und der Karibik findet also weitgehend im Ausland statt. Selbst die staatlichen Öl- und Gasunternehmen der Region sind stark auf Geld aus dem Ausland angewiesen. So sind die wichtigsten Banken von Petrobras MUFG aus Japan und Scotiabank aus Kanada. Die mexikanische Pemex erhielt die größten Finanzsummen von Citi und die kolumbianische Ecopetrol von Scotiabank. Der argentinische Konzern YPF hat Santander als wichtigsten Geldgeber.
Zehn Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen ist es der Welt immer noch nicht gelungen, die Emissionskurve herumzudrehen. „Wer nach den Gründen für dieses Scheitern sucht, findet eine Geldspur. Sie führt direkt in die Vorstandsetagen der Finanzinstitute, die in den vergangenen zehn Jahren gesunden Menschenverstand und Klimawissenschaft ignoriert haben, um weiterhin die Expansion fossiler Brennstoffe zu finanzieren“, kritisiert Schücking.