Wien, 04.12.2025
Ein neuer Bericht der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald ermöglicht erstmals tiefe Einblicke in das fossile Finanzgeschäft von Österreichs führenden Finanzinstituten Erste Group und Raiffeisen Bank International. Durch die Finanzierung von Unternehmen im Kohle-, Öl- und Gassektor, die ihr fossiles Geschäft immer noch ausweiten, tragen die Banken zur Verschärfung der Klimakrise sowie zur Überschreitung des verbleibenden CO₂-Budgets bei. Die zugrundeliegenden Finanzrecherchen zeigen: Die Erste Group hat zwischen 2022 und 2024 insgesamt 4,2 Mrd. US-Dollar an fossile
Unternehmen vergeben, davon 2,5 Mrd. US-Dollar an expandierende fossile Unternehmen. Die Raiffeisen Bank International hat fossile Firmen im gleichen Zeitraum mit 3,5 Mrd. US-Dollar versorgt, davon 1,7 Mrd. US-Dollar für Expansionsfirmen. (vgl. Diagramme und Tabellen im Anhang)
Autorin Johanna Frühwald, Finanz-Campaignerin bei urgewald, sagt: „Es geht bei der Energiewende nicht nur darum, den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben. Es geht auch darum, den Ausbau fossiler Brennstoffe zu stoppen. Wenn ein fossiles Unternehmen glaubhaft machen möchte, dass es sich in Transformation befindet, darf es keine neuen fossilen Projekte mehr entwickeln. Wer nicht einmal diese Minimalanforderung erfüllt, sollte 2025 keinen Zugang mehr zu Finanzierungen erhalten.“
Beunruhigend ist vor allem, dass beide Banken, trotz bestehender Öl- und Gasrichtlinien, ihre Finanzierung für expandierende fossile Unternehmen in den vergangenen drei Jahren deutlich ausgeweitet haben: die Erste Group um rund 94 Prozent, die Raiffeisen Bank um rund 68 Prozent. Hunderte Millionen flossen an Unternehmen wie OMV, Romgaz, ORLEN oder MOL, deren expandierendes Geschäftsmodell im krassen Widerspruch zum nötigen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen steht. Auch die Rohstoffhändler Glencore, Gunvor, Trafigura oder Vitol zählen zu langjährigen Kunden der zwei Banken, deren Geschäfte in den vergangenen Jahren von umfangreichen Korruptionsvorwürfen begleitet wurden und mehrfach zu Ermittlungen und Strafen geführt haben.
OMV aus Österreich und ORLEN aus Polen zeigen beispielhaft, welche klimaschädlichen Aktivitäten Erste Group und Raiffeisen durch ihre Finanzgeschäfte unterstützen[1]: Beide Energiekonzerne zählen zu den 100 größten Expansionsfirmen im Öl- und Gasfördergeschäft. Sie wollen in kommenden Jahren enorme zusätzliche Fördermengen erschließen. Die OMV liegt auf Platz 50 der Unternehmen mit den höchsten Explorationsausgaben weltweit, dicht gefolgt von ORLEN auf Platz 52: Zwischen 2022 und 2024 gab die OMV durchschnittlich 226,8 Millionen US-Dollar, ORLEN 202,8 Millionen US-Dollar für die Suche nach neuen Öl- und Gasquellen aus.[2] Die Exploration und das Erschließen neuer Öl- und Gasfelder stehen im klaren Widerspruch zu den Netto-Null-Szenarien der Internationalen Energieagentur und anderen 1,5-Grad-kompatiblen Zielpfaden.[3]
Neben dem Projekt „Neptun Deep“ – derzeit eines der größten geplanten Gasförderprojekte in der EU – will die OMV zusammen mit dem israelischen Unternehmen NewMed Energy ein weiteres Gasfeld im bulgarischen Teil des Schwarzen Meers erschließen: den „Han-Asparuh“-Block. Dieses Feld soll ähnlich viel fossiles Gas enthalten wie „Neptun Deep“. Die hier benötigten Tiefstwasser-Bohrungen sind extrem riskant für die Meeresökologie aufgrund der extremen Bedingungen in solch tiefen Meeresregionen, weshalb ein unkontrollierter Austritt kaum beherrschbar wäre. Darüber hinaus hat die OMV erst Ende letzten Jahres einen neuen Gasfund in der Arktis bekannt gegeben und vor wenigen Wochen meldete die lybische National Oil Corporation eine neue Ölentdeckung im Sirte-Becken an der Nordküste Libyens durch die OMV.
Frühwald sagt dazu: „Die OMV verkauft ihre fossilen Expansionspläne als Diversifizierung der Energieversorgung. Letztendlich verzögert jedes neue Gasprojekt den Gasausstieg um Jahrzehnte und bindet die Gesellschaft langfristig an fossile Brennstoffe – von Pipelines bis hin zur Gasheizung. Wer auf Gas setzt, legt seine Energieversorgung immer auch in die Hände von Autokraten, da Europa seinen Bedarf nicht selbst decken kann. Gas bedeutet Importabhängigkeit. Echte Unabhängigkeit ist nur durch Erneuerbare, Energieeffizienz und ein flexibles Stromsystem erreichbar.“
Die aktuellen Finanzierungsrichtlinien der Erste Group und der Raiffeisen Bank International offenbaren große Schlupflöcher im Vergleich zu Wettbewerbern wie der schwedischen Handelsbanken, der dänischen Danske Bank oder der französischen La Banque Postale. Während die Erste Group und die Raiffeisen Bank etwa Projektfinanzierungen für fossile Fördergeschäfte in der Arktis ausschließen, vergeben sie weiterhin Kredite an Öl- und Gaskonzerne, die in der Arktis aktiv sind oder sogar neue Projekte dort erschließen wollen. Expansion gilt bei beiden Banken aktuell nur im Kohlebereich als Ausschlusskriterium für Unternehmensfinanzierungen. 10 Jahre nach dem Pariser Abkommen ist es überfällig, dieses Kriterium auf alle fossilen Energieträger auszuweiten.
Der Bericht enthält außerdem eine Analyse der fossilen Investitionen der aktiv gemanagten Publikumsfonds beider Banken, welche gemeinsam mit der urgewald-Partnerorganisation Facing Finance durchgeführt wurde. Die Erste Group hält in 44 Fonds rund 433 Millionen Euro an Aktien und Anleihen expandierender Öl- und Gasunternehmen bzw. von Kohleunternehmen ohne Paris-kompatibles Ausstiegsdatum.Die Raiffeisen Bank International kommt auf rund 232 Millionen Euro in 50 Fonds. In den Portfolios beider Banken finden sich auch noch sogenannte „Öl- und Gasmajors“ wie beispielsweise BP, TotalEnergies, Shell oder Eni.
Frühwald kommentiert: „Erste Group und Raiffeisen Bank regulieren ihre fossilen Geschäfte zum größten Teil im Bereich der Projektfinanzierung. Wenn aber das für diese Projekte verantwortliche Unternehmen anklopft, öffnen die beiden Banken gerne die Türen. Es wird Zeit, dass Banken ihre Finanzierungsrichtlinien an der Klimawissenschaft ausrichten und Expansion zur roten Linie erklären: sowohl im Kredit- als auch im Investitionsgeschäft. Im Kohlebereich haben Erste Group und Raiffeisen Bank bereits gezeigt, dass dies möglich ist - nun müssen sie diesen Schritt auch im Öl- und Gasbereich
umsetzen.“
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ANHANG
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[1] OMV taucht in den Kreditportfolios beider Banken auf, ORLEN lediglich bei der Erste Group.
[2] Diese Zahlen basieren auf der von urgewald bereitgestellten Industriedatenbank Global Oil & Gas Exit List (GOGEL), der umfangreichsten öffentlichen Datenbank zu Aktivitäten der globalen Öl- und Gasindustrie. Vgl. www.gogel.org
[3] https://www.iea.org/reports/net-zero-by-2050