Der nukleare Pakt mit dem Teufel - Siemens Energy muss seine Geschäftsbeziehungen mit ROSATOM sofort beenden

Pressemitteilung
Berlin/Köln 06.02.2023

Anlässlich der morgigen Hauptversammlung von Siemens Energy kritisieren urgewald, Friends of the Earth Europe, der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre sowie die russische Umwelt-NGO Ecodefense das Unternehmen wegen seiner weiterhin bestehenden Geschäftsbeziehungen zur staatlich-russischen Atomenergie-Gesellschaft ROSATOM. Diese sind vom Russland-Exit der Siemens Energy scheinbar unberührt geblieben [1], obwohl ROSATOM sogar direkt in den Krieg gegen die Ukraine involviert ist. Siemens Energy muss diese Geschäfte umgehend beenden.   

ROSATOM ist direkt dem russischen Präsidenten Vladimir Putin unterstellt und umfasst gut 350 Tochterunternehmen. Nach eigenen Angaben plant und baut die Gesellschaft aktuell 34 Reaktoren weltweit und beliefert 75 mit Brennstoffen. [2]  Darüber hinaus ist ROSATOM für die Entwicklung und Produktion der russischen Atomwaffen zuständig. All dies macht ROSATOM zu einem der wirkungsvollsten Instrumente des Kremls für seine geopolitischen Bestrebungen. Da es bisher keine Sanktionen gegen den russischen Nuklearsektor gibt, kann ROSATOM auch weitgehend unbehelligt agieren. [3] 

Vladimir Slivyak, Gründer von Ecodefense und Alternativer Nobelpreisträger, warnt: „Die Bedeutung von ROSATOM für Russlands geopolitische Ziele darf nicht länger unterschätzt werden. Möglichst viele Länder sollen unter anderem durch russische Atomkraftwerke – noch dazu finanziert durch russische Kredite - in eine Abhängigkeit von Russland getrieben werden. Planung, Bau, Betrieb, Brennstoff, Abfallentsorgung – alles fest in russischer Hand. Der perfekte Weg, um sich politischen Einfluss für Jahrzehnte zu sichern.“

Siemens Energy trägt seit Jahren entscheidend dazu bei, dass diese Strategie erfolgreich ist. Das Unternehmen liefert gemeinsam mit dem Konsortiumspartner Framatome sogenannte „Instrumentation & Control (I&C)-Systeme“ für die russischen Reaktoren. Noch am 2. Dezember 2021, als sich die Invasion in die Ukraine bereits abzeichnete, unterzeichneten Framatome und ROSATOM erneut ein strategisches Kooperationsabkommen. In diesem wird explizit der Bereich der Instrumentation & Control-Systeme genannt, der im Zuständigkeitsbereich von Siemens Energy liegt. [4] Diese Systeme sind technisch hochkomplex und bilden die Schaltzentrale eines Reaktors. In der neueren Reaktorgeneration von ROSATOM, WWER-1200, wurde das TELEPERM XS von Siemens Energy bereits bei den Reaktoren Nowoworonesch II und Leningrad II (beide Russland) eingesetzt. Für den dritten, bereits fertig gestellten WWER-1200-Reaktor, Ostrovets I (Belarus), gibt es ebenfalls Hinweise darauf, dass Siemens Energy-Technologie verwendet wurde. Darüber hinaus ist TELEPERM XS für das WWER-1200-Atomkraftwerk Paks II (Ungarn) sowie für die beiden Reaktoren des Atomkraftwerks Kursk II (Russland) vorgesehen. Kursk II wird der Prototyp des neuesten ROSATOM-Reaktormodells WWER-1300. [5] Für das mittlerweile aus sicherheitspolitischen Gründen gestoppte ROSATOM-Neubau-Projekt Hanhikivi in Finnland, ebenfalls ein WWER-1200, galt auch eine Beteiligung von Siemens Energy. [6]

„Wir haben wenig Grund zur Annahme, dass sich ROSATOM bei den anderen Bauprojekten der Baureihe WWER-1200 und perspektivisch WWER-1300 nun plötzlich gegen das I&C-System von Framatome/Siemens Energy entscheiden wird. Dies ist aufgrund der technischen Komplexität und der kaum vorhandenen Alternativen nicht vorstellbar. Wenn Siemens Energy keine Kehrtwende vollzieht, bleibt TELEPERM XS wahrscheinlich auch bei den weiteren geplanten oder in Bau befindlichen ROSATOM-Reaktoren in Ägypten, Bangladesch, China, Indien, dem Iran und der Türkei das präferierte System“, so Vladimir Slivyak

Patricia Lorenz, Anti-Nuklear-Kampaignerin von Friends of the Earth Europe: „Durch die Beteiligung am Bau von Paks II ermöglicht Siemens Energy, dass Russland das EU-Mitglied Ungarn in eine noch stärkere Abhängigkeit bei der Energieversorgung treibt. Die Fertigstellung von Paks II würde die technologische Abhängigkeit für weitere Jahrzehnte zementieren. Die in Paks bereits in Betrieb befindlichen vier Reaktoren liefern die Hälfte des ungarischen Strombedarfs und sind zur Gänze von Brennstofflieferungen durch Rosatom/TVEL abhängig. Damit hätte Russland sichergestellt, dass Ungarn noch lange EU-Sanktionen verhindern wird.“

Die Geschäfte von Siemens Energy mit Rosatom sind nicht nur aus geopolitischen Gründen fragwürdig. ROSATOM ist direkt in den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine involviert. Zahlreiche Mitarbeiter der Gesellschaft waren sowohl an der Besetzung der Atomruine Tschernobyl als auch an der des größten Atomkraftwerks Europas, Zaporizhzhia, beteiligt. Für letzteres gründete ROSATOM eigens zum Zweck der illegalen Übernahme die neue Tochtergesellschaft „JSC Operating Organization of Zaporizhzhia NPP“.

Des Weiteren: Sergei Kirienko, der Aufsichtsratsvorsitzende von ROSATOM, ist gleichzeitig stellvertretender Leiter der russischen Präsidialverwaltung. Er gilt als „Putins Mann im Donbass“ und steht seit der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny auf den Sanktionslisten der EU, der USA und des Vereinten Königreichs. 

„Russland versucht, die Ukraine in die Steinzeit zu bomben und Siemens Energy wartet nach eigenen Angaben nur auf eine Ausfuhrgenehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, um ROSATOM die benötigten Komponenten für das politisch höchst sensible Paks II zu liefern. [7] ‚Business as usual‘, während keine vierhundert Kilometer nordöstlich von Paks hinter der Grenze der Krieg tobt und Menschen sterben. Wenn Siemens Energy weiterhin direkt oder indirekt Geschäfte mit ROSATOM tätigt, macht sich das Unternehmen mitschuldig und trägt dazu bei, den geopolitischen Einfluss dieses verbrecherischen Regimes von Vladimir Putin zu stärken. Das kann nicht im Sinne der Aktionärinnen und Aktionäre sein. Der Vorstand muss diesen Pakt mit dem Teufel umgehend beenden“, fordert Sebastian Rötters, Energiekampaigner bei urgewald.

Hinweise: 
Hier finden Sie den Gegenantrag zur Siemens Energy Hauptversammlung 2023 vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre – und hier die Antwort von Siemens Energy

Wir werden auf der morgigen Hauptversammlung von Siemens Energy Redebeiträge machen und Fragen stellen. 
 

Kontakt:

Sebastian Rötters, Energiekampaigner von urgewald 
+49-163-4772758, sebastian@urgewald.org


Vladimir Slivyak, Gründer von Ecodefense
+49-178-1792352

Patricia Lorenz, Anti-Nuklear-Kampaignerin von Friends of the Earth Europe
+43 (0) 676 44 64 254, patricia.lorenz@foeeurope.org

Stefanie Jellestad, Pressesprecherin von urgewald
+49-152-37199229, stefanie.jellestad@urgewald.org

Tilman Massa, Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre
+49 221 599 56 47, dachverband@kritischeaktionaere.de

 

Hintergrundinformationen zu ROSATOM:

Das Konglomerat von rund 350 Unternehmen ist 2007 per Dekret Vladimir Putins gegründet worden und direkt dem russischen Präsidenten unterstellt. Es beinhaltet sowohl zivile als auch militärische Atomtechnik-Unternehmen. ROSATOM ist der größte Produzent von Atomkraftwerken (AKW) weltweit, mit klarem internationalem Fokus. Dank großer Kapazitäten für die Urananreicherung, die Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion geblieben waren, kontrolliert Rosatom heute zudem 16,3 % der weltweiten Produktion nuklearer Brennstoffe. [8]

Fast alle Kosten für die ROSATOM-Geschäfte werden aus dem russischen Staatshaushalt bestritten. Durch die Finanzierung und den Bau neuer Reaktoren schafft ROSATOM eine Abhängigkeit von russischer Technologie und Knowhow, von russischen Krediten und russischen Brennstofflieferungen, inklusive der Entsorgung radioaktiver Abfälle. Darüber hinaus ist ROSATOM aber auch für die Entwicklung des russischen Atomwaffenarsenals zuständig und kooperiert mit zahlreichen russischen Produzenten nicht-nuklearer Waffen. [9]

Kriegsbeteiligung
ROSATOM ist auch direkt in die Kriegshandlungen in der Ukraine verstrickt. Laut eines Berichts der Washington Post vom 20. Januar 2023 waren ROSATOM-Mitarbeiter nicht nur gleich zu Beginn der Invasion an der Besetzung der AKW-Ruine Tschernobyl und des AKWs Zaporizhzhia beteiligt, sondern halfen aktiv mit, letzteres unter russische Kontrolle zu bringen. [10]

Atomare Abhängigkeit sichert Einfluss
Grundsätzlich besteht eine starke Abhängigkeit von ROSATOM überall dort, wo weiterhin ältere Reaktoren des Typs WWER 440 (sowjetische Bauart) im Einsatz sind. Diese laufen aktuell noch in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Finnland und können bislang nur mit Brennstäben von ROSATOM betrieben werden.

Neuere Atomreaktoren der Baureihe WWER 1000 sind zwar oft auch über Lieferverträge an ROSATOM gebunden, können aber mit Brennstäben der Firma Westinghouse betrieben werden. Außerhalb Russlands sind WWER 1000-AKWs aktuell in Bulgarien, China, dem Iran, Indien, Tschechien und der Ukraine (Zaporizhzhia!) in Betrieb.

Bei den neueren Reaktoren des Typs WWER 1200 (und perspektivisch WWER 1300) wird sich das Versorgungsproblem jedoch wieder dramatisch verschärfen, da ROSATOM bei der Brennstoffversorgung erneut über eine Monopolstellung verfügt und auf absehbare Zeit keine Alternativen zu erwarten sind.

ROSATOM-Führung bislang kaum von Sanktionen erfasst
Trotz aller Vorwürfe gegen ROSATOM sind bislang nur zwei Mitglieder aus dem ROSATOM-Management und -Aufsichtsrat auf der EU-Sanktionsliste zu finden: der Aufsichtsratsvorsitzende Sergei Kirienko und ein weiteres Mitglied des Aufsichtsrates, Sergei Korolev. Kirienko steht seit 2020 im Zusammenhang mit dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny auf der Sanktionsliste, Korolev aufgrund seiner Funktion als Vize-Chef des russischen Geheimdienstes FSB. Ihre Tätigkeit bei ROSATOM wird jedoch von der EU bislang nicht also sanktionierungsbedürftig eingestuft. Insbesondere Kirienko, der nicht nur Aufsichtsratschef von ROSATOM, sondern vor allem Erster Stellvertretender Stabschef des Präsidialamtes ist, kommt besondere Bedeutung zu. Der langjährige ROSATOM-Chef gilt als enger Putin-Vertrauter, der auch die Zusammenarbeit mit Siemens maßgeblich vorantrieb. „Putins Mann im Donbass“, wie die Süddeutsche Zeitung am 28. September 2022 schrieb, war einer der ersten, der nach der russischen Besetzung Cherson und Mariupol besuchte und persönlich die Annexion von Cherson, Zaporizhzhia, Luhansk und Donezk überwachen soll.

Fußnoten:

[1] https://press.siemens.com/global/de/pressemitteilung/siemens-stellt-russland-geschaeft-ein 
[2] https://www.rosatom.ru/en/investors/projects/ & https://www.tvel.ru/en/ 
[3] Mehr Hintergrundinformationen zu ROSATOM finden Sie am Ende der Pressemitteilung.
[4] https://www.framatome.com/medias/framatome-and-rosatom-sign-long-term-cooperation-agreement/  
[5] https://rosatom-europe.com/de/press-centre/news/18937/
https://wua-wien.at/atomschutz/atomkraftwerke-in-europa/1533-kkw-astravets?start=2
https://www.framatome.com/medias/framatome-hungarys-ministry-of-innovation-and-technology-cooperate-on-future-ofnuclear-energy/
[6] https://www.framatome.com/medias/framatome-and-rosatom-sign-instrumentation-and-control-support-contract-for-hanhikivi-1/?lang=en
[7] https://assets.siemens-energy.com/siemens/assets/api/uuid:6a9b6f73-b546-4597-9860-bc3f73e933d3/gegenantraege-hv2023-de-2023-01-25.pdf?ste_sid=5bdcd7a13c9f616c3d9577659d7717f9 
[8] https://www.rosatom.ru/en/rosatom-group/fuel-and-enrichment/
[9] https://www.washingtonpost.com/world/2023/01/20/rosatom-ukraine-war-effort-sanctions/
[10] https://www.washingtonpost.com/world/2023/01/20/rosatom-ukraine-war-effort-sanctions/