Mit der Einführung neuer Benennungs-Leitlinien für ESG-Fonds durch die EU-Aufsichtsbehörde ESMA[1] zum Stichtag 21. Mai sollte endlich mehr Klarheit für Verbraucher*innen geschaffen werden. Eine aktuelle Analyse von Finanzwende, urgewald und Facing Finance zeigt nun: Statt ihre Portfolios nachhaltiger zu gestalten und unter anderem Anteile an fossil expandierenden Konzernen zu verkaufen, haben viele Anbieter ihre Fonds schlicht umbenannt. Insgesamt 674 Fonds, deren ursprünglicher Name nach den neuen Regeln einen Ausschluss fossiler Investitionen verlangt hätte, wurden durch ihre Anbieter umbenannt.
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Die neuen ESMA-Leitlinien verpflichten Fonds mit bestimmten Nachhaltigkeitsbegriffen im Namen dazu, fossile Unternehmen auszuschließen und mindestens 80 Prozent des Fondsvermögens gemäß der im Namen genannten Strategie anzulegen. Doch 391 Fonds haben den regulierten Begriff – etwa „nachhaltig”, „ESG”, „climate” oder „responsible” – seit Veröffentlichung der Leitlinien im Mai 2024 aus ihrem Namen gestrichen. Weitere 283 haben ihn durch weichere Begriffe wie „screened“, „selection“ oder „committed“ ersetzt, die nicht eindeutig unter die neuen Regeln fallen.
Grafik 1: Aus Fondsnamen entfernte Begriffe[2]

Grafik 2: Begriffe, die als Ersatz für entfernte Begriffe dienen
427 der insgesamt 674 Fonds, die einschlägige Begriffe aus ihren Namen entfernt
haben, investierten laut einer im März veröffentlichten Recherche von urgewald und
Facing Finance[3] rund 13,7 Milliarden Euro in große Kohle-, Öl- oder Gasunternehmen. An solchen klimaschädlichen Investitionen können diese Fonds durch die Umbenennung festhalten.
Für die Analyse wurden zum Stichtag 21. Mai mehr als 15.000 Fonds auf dem europäischen Markt untersucht, die angeben, ökologische oder soziale Merkmale zu berücksichtigen oder ein nachhaltiges Investitionsziel zu verfolgen[4] – und somit potenziell von den neuen ESMA-Vorgaben betroffen sind. Vor einem Jahr, im Mai 2024, trugen noch 4.043 Fonds oder 27 Prozent einen Begriff im Namen, der zum Ausschluss fossiler Unternehmen führen würde. Ein Jahr später waren es nur noch 3.455 Fonds oder 23 Prozent mit Begriffen wie „Umwelt”, „Impact” oder „Nachhaltigkeit”.[5]
„Was wir hier sehen, ist kein harmloses Rebranding. Verbraucherinnen und Verbraucher haben die Fonds gekauft, weil sie nachhaltig investieren wollten“, sagt Alison Schultz, Referentin bei Finanzwende. „Ein bloßer Namenswechsel ersetzt keine echte Veränderung, sondern missbraucht das Vertrauen der Anlegenden und lenkt Kapital fehl, das eigentlich der ökologischen Transformation dienen sollte. So wird die Glaubwürdigkeit eines Marktes untergraben, der nur funktionieren kann, wenn in Finanzprodukten drin ist, was draufsteht.“
Julia Dubslaff, Finanz-Analystin bei urgewald, betont: „Statt die neuen Transparenzregeln für eine Anpassung ihrer Anlagepolitik zu nutzen, versuchen viele Fondsanbieter, sich dem durch kreative Umbenennung zu entziehen. Das zeigt, wie wichtig Vorgaben und Aufsicht durch Politik und Behörden sind. Sie müssen klimaschädliche Investitionen in allen ESG-Fonds durch klare Regeln und bessere Kontrolle unterbinden.“
Den größten Anteil auffälliger Umbenennungen gab es beim US-Vermögensverwalter State Street. Dieser hat 56 Prozent seiner Fonds umbenannt, die im Mai 2024 noch einen „Umwelt-”, „Impact-” oder „Nachhaltigkeits-” bezogenen Begriff im Namen trugen, was nun Folgen für fossile Investitionen gehabt hätte. Es folgen die Schweizer UBS (50 %) und der US-Anbieter Northern Trust (49 %).
Eine exemplarische Auswertung ausgewählter großer deutscher Vermögensverwalter zeigt: Die Deutsche-Bank-Tochter DWS hat 45 Fonds mit ESMA-relevanten Begriffen umbenannt, das entspricht 29 Prozent ihrer betroffenen Fonds. Diese investierten nach letztem Recherche-Stand rund 153 Millionen Euro in fossile Sektoren. Im Fall der Allianz wurden 10 Fonds (28 %) umbenannt, bei der Deka 5 Fonds (12 %) und Union Investment benannte 10 Fonds (10 %) um.
Die Ergebnisse offenbaren die Schwächen der bisherigen Regulierung. Die ESMA-Leitlinien sind ein wichtiger Schritt nach vorne und greifen dennoch zu kurz, wenn sich Fondsanbieter durch semantische Tricks aus der Verantwortung ziehen können. Der Gesetzgeber ist jetzt gefragt, nachzuschärfen.
„Die EU hat die Macht, glaubwürdige Regeln zu schaffen. Die Überarbeitung der SFDR-Verordnung bietet die Chance, nun endlich Klarheit zu schaffen und Schlupflöcher zu schließen. Es braucht für sämtliche ESG-Fonds klare Vorgaben, die fossile Geldanlagen ausschließen”, so Julia Dubslaff. Alison Schultz ergänzt: „Wenn ein Fonds sich ‚nachhaltig‘ nennt und gleichzeitig in fossile Expansion investiert, ist das schlicht Irreführung. Solche Produkte hätten längst sanktioniert werden müssen. Die Finanzaufsicht BaFin ist auch künftig gefordert, hier konsequent durchzugreifen.“
Über Finanzwende
Finanzwende ist ein überparteilicher Verein mit mehr als 14.000 Mitgliedern. Die unabhängige Interessenvertretung von und für Bürger*innen wurde im Jahr 2018 anlässlich des zehnten Jahrestages der Lehman-Brothers-Pleite gegründet. Als Gegengewicht zur Finanzlobby drängt sie auf stabilere, faire und nachhaltige Finanzmärkte. Durch Kampagnen und kritische Recherchen kämpft sie für ein gemeinsames Ziel: die Finanzwende – damit die Finanzwirtschaft den Menschen dient. https://www.finanzwende.de/ueber-uns/wer-wir-sind/
Über urgewald
Wenn Natur zerstört, Klimaziele missachtet und Menschenrechte gebrochen werden, steht dahinter stets viel Geld. Hier setzt urgewald an. Seit über 30 Jahren offenbart die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation die Geldquellen hinter zerstörerischen Projekten. urgewald kombiniert gründliche Recherchen und öffentliche Kampagnen, um
Finanzströme in schädliche Sektoren aufzudecken und zu stoppen. Mit unseren fossilen Datenbanken liefern wir effektive Werkzeuge für die Finanzindustrie, um Klimakillern das Geld zu entziehen. https://www.urgewald.org/ueber-uns
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[1] European Securities and Markets Authority
[2] Die Größe eines Begriffs entspricht der Anzahl der Fonds, aus denen er gestrichen wurde.
[3] Vgl. https://www.urgewald.org/medien/finanzrecherche-deckt-massives-greenwashing-europaeischen-esg-fonds
[4] Auch als “Artikel 8/9-Fonds” bezeichnet, da die EU-Verordnung SFDR ihre Kriterien unter den entsprechenden Artikeln beschreibt.
[5] 674 Mal wurde ein relevanter Begriff aus dem Namen entfernt, bei 86 Fonds wurde ein Begriff hinzugefügt. So wurden aus 4043 Fonds, die sich an die Ausschlüsse halten müssen, 3455 Fonds.