Tag 3: Küstenerosion: die ersten Klimaflüchtlinge Guyanas

Sonntag, den 8.März 2020
Ute und Annette
Gespräch mit Annette Arjoon-Martins in ihrem Haus in den Oleander Gardens.

Dieser Tag beginnt mit einem spannenden Interview im Hause Annette Arjoon-Martins. Von Beruf Pilotin, hat sie ihre Leidenschaft für den Schutz der Küste entdeckt. Sie ist Gründerin der „Gesellschaft für Meeresschutz/Marine Conservation Society“ (2000) und hat dafür gesorgt, dass der 145 km lange Muschelstrand „Shell Beach“ 2011 unter Schutz gestellt wurde. Übrigens das einzige Gebiet entlang der Küste. An diesen Strand kommen vier massiv bedrohte Arten der Seeschildkröten zur Eierablage: Lederschildkröte (Leatherback), Echte Karettschildkröte (Hawksbill), Oliv-Bastardschildkröte (Olive Ridley) und Grüne Meeresschildkröte (Green Turtle).

Annette erzählt uns, dass seit 2012 der Wind stärker, die Wellen höher werden. Die indigene Gemeinschaft der Arawaks, die früher auch von Schildkrötenfleisch und -eiern lebte, schützt inzwischen diese beeindruckenden Tiere. Leider kam es 2017 durch eine große Überschwemmung zur Zerstörung des Besucherzentrums, und, schlimmer noch, zum Abriss großer Teile dieses Strandes. Seitdem ist er für Besucher gesperrt. 208 der indigenen „Amerindians“ mussten ihre dortige Siedlung verlassen. Die Umsiedlung in ein etwas größeres Dorf ist nicht geglückt. Denn ohne den einfachen Zugang zum Meer, ohne eigenes Land ist den Umgesiedelten plötzlich die jahrhundertealte Lebensgrundlage genommen. Sie wurden „Klimaflüchtlinge“, wie Annette diesen Zustand nennt.

Das Meer ist schon in der Stadt

In Guyana lebt man schon seit einigen Jahren mit der Bedrohung durch den Klimawandel, aber er trifft besonders die Armen hart. Während sich die reiche Bevölkerung durch Standort und Baumaßnahmen schützen kann, trifft jede Überschwemmung der Meeresmauer diese Menschen in besonderem Maße. Wenn das Wasser tagelang in den Senken von Georgetown steht, die Fäkalien aus den Toiletten geschwemmt werden, die Häuser marode werden und all dies immer häufiger passiert, dann ist es das drängendste Problem die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel, „Climate Resilience“, zu organisieren.

Küstenschutz durch Mangroven

Luke erklärt Ute den Lebensraum Mangrovenwald
Am Nachmittag suchen wir eine Stelle an der Seawall, an der noch Mangroven stehen. Luke erklärt uns die Funktionsweise der Bäume als natürlichen Küstenschutz.

Sie geht dann noch auf einen weiteren, wichtigen Aspekt ihrer Arbeit ein. Der natürliche Schutz der Küste geschieht durch Mangrovenwälder. Sie wachsen weit hinaus im niedrigen Wasser, die drei unterschiedlichen Baumarten haben unterschiedliche Aufgaben und beschützen eine äußerst artenreiche Vogel- wie auch Fischstruktur. Es ist extrem wichtig, dass diese Wälder unter Schutz gestellt und dort, wo sie fehlen, wieder angepflanzt werden. Die EU hat viel Geld dafür gegeben, es braucht wohl 5 Mio. USD zur Wiederaufforstung von einem Kilometer. Auch dafür ist Annette eine wichtige Ansprechpartnerin.

Dann zeigt Annette uns die Filmaufnahmen ihres Sohnes über die jetzt häufig auftretenden Überschwemmungen entlang der Küste. Erschreckend dramatisch wird hier sichtbar, dass das heutige Guyana, heute noch eine Kohlenstoffsenke, bald selbst Opfer des Klimawandels werden wird. Wenn durch die Erderhitzung das Meer ansteigt, werden immer mehr zerstörerische Wellen mit größerer Wucht als über Jahrhunderte hinweg auf die niedrige Küste treffen. Diese Überschwemmungen werden dann aber auch auf Dauer das fruchtbare Land versalzen und z.B. den Reis- und Zuckeranbau zum Erliegen bringen.

Freifahrtschein für die Ölindustrie

Annette spart nicht mit Kritik an der Unterstützung der Ölindustrie durch die Regierung. Sie sagt zwar auch, dass sie nichts gegen das Öl hat, aber es hätten keine Verträge gemacht werden dürfen, ohne eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Tier- und Pflanzenwelt und ihrer Schutzwürdigkeit. Dieses Versäumnis prangert sie mehrfach an.

Man habe Exxon einen Freifahrtschein für alles gegeben, anstatt verantwortlich mit dem Öl und seinen Folgen umzugehen. Annette hofft, dass diese Situation internationale Aufmerksamkeit hervorruft, damit es eine Unterstützung der Zivilgesellschaft gibt. Sie schlägt vor, eine Flugüberwachung einzusetzen, um Ölkatastrophen aufzudecken und ein Satellitenprogramm, welches die Ölindustrie kontrolliert.

Melinda und Ute vor dem High Court

Als wir aus dem Haus treten, lädt Melinda per Telefon dazu ein, an der Gerichtsentscheidung über das Wahlergebnis teilzunehmen. Leider erhalten wir, aus dem Ausland kommend, keinen Eintritt und müssen wieder umkehren. Wir nutzen die Gelegenheit, weitere Aufnahmen entlang der Meeresmauer an einer anderen Stelle zu machen. Wiederum erschreckt uns das Ausmaß der Müllverschmutzung, während wir staunen, wie viele verschiedene Vogelarten sich in den Mangrovenwäldern niederlassen. Aber besonders bewundern wir die kleinen Schwärme der scharlachroten Ibisse, die unübersehbar und wunderschön, ihrer Jagd nach leckerem Fisch nachgehen.

„Exxon hat unsere Gier ausgenutzt“

Zum Glück erklärt sich Anand Goolsarran, ein in Guyana hoch angesehener Mann und noch heute aktiver Kolumnist der Stabroek News, bereit, uns am Abend ein Interview zu geben. Seinem Ruf als unbestechlicher Anwalt gegen Korruption als ehemaliger Präsident des Transparenz-Instituts von Guyana („Transparency Institute Guyana Inc.“) und oberster Wirtschaftsprüfer des Landes wird er voll gerecht. Seiner Ansicht nach, wird man jetzt noch nicht entscheiden können, ob die Regierung von APNU-AFC weniger korrupt sei als die davorliegende, weil sie noch zu kurz im Amt gewesen sei.

Er beschreibt den Deal mit Exxon, Hess und CNOOC als unfair. Die Regierung, so Anand Goolsarran, hat sich auf ihrer Reise nach Texas einlullen lassen und unterschrieb, was Exxon auf den Tisch legte: „Exxon hat unsere Gier ausgenutzt (Exxon has exploited our eagerness)”. Sein Rat: Die Wirtschaft muss auf verschiedene Beine gestellt, der Klimawandel ernst genommen sowie die Infrastruktur instandgesetzt werden: „Stoppt die Ölförderung – Rettet den Planeten (Stopp drilling – Save the planet)“. Ganz zum Abschluss des Interviews sagte er, und es klang wie eine Mischung aus einem Seufzer und einer Warnung: „Öl ist ein Fluch (Oil is a Curse)“.