Biologin dreht den Geldhahn zu: „Internationale Öl-Konzerne füllen die russische Kriegskasse“

Seit 30 Jahren zeigt Heffa Schücking mit ihrer Organisation Urgewald Großinvestoren die Konsequenzen ihrer Finanzierungen auf. So kämpft sie gegen schmutziges Geld und die Klimakrise.

Das Interview mit urgewald-Gründerin Heffa Schücking erschien im Original im Tagesspiegel am 21.3.2023 und wurde von Armin Lehmann geführt. Die Abbildung auf dieser Website erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegel.

 

Frau Schücking, Sie behaupten, „schmutziges Geld“ zu verfolgen. Was ist „schmutzig“ an dem Geld der Industrie?

Wir verhindern Geldflüsse in Geschäfte der Kohle-, Öl und Gasindustrie; dieses Geld ist schmutzig, weil es hilft, unsere Welt zu zerstören.

Urgewald, die 1992 von Ihnen gegründete Organisation für Klimaschutz und Menschenrechte, agitiert seit 30 Jahren die Geldgeber im Hintergrund, nicht die Konzerne selbst. Warum?

Weil hinter jedem Kohlekraftwerk, hinter jeder Ölpipeline, hinter jedem LNG-Terminal oder auch hinter jeder Streubombenfabrik immer Investoren, Konzerne, Banken oder große Versicherer stehen. Diese Geldflüsse zu stoppen, ist ein wichtiger Hebel im Kampf gegen den Klimawandel.

Geld regiert nun mal die Welt. Wann kam Ihnen die Idee, Geldflüsse zu verhindern, anstatt sich etwa auf der Autobahn festzukleben?

Im September 1988 tagten Weltbank und Internationaler Währungsfonds in Berlin, 80.000 Menschen demonstrierten, auch ich war Teil der Solidaritätsbewegung für die damals sogenannte Dritte Welt. Aber danach war es wieder vorbei mit dem öffentlichen Druck.

Wie funktioniert das Verfolgen konkret?

Von NGOs aus den USA lernte ich, dass es eine große Wirkung hat, wenn man Entscheider mit den Auswirkungen ihrer Finanzierungen konfrontiert. Diese NGOs schafften es, dass sich Exekutivdirektoren der Weltbank in Berlin mit Betroffenen von Projekten trafen, die die Bank finanziert hatte. Dort berichtete etwa ein Kleinbauer aus Indonesien, wie sein Dorf ohne Vorwarnung für ein Staudammprojekt geflutet wurde. Solche Treffen und Kampagnen haben dazu geführt, dass die Weltbank neue Richtlinien einführen musste.

Bald darauf haben Sie Urgewald gegründet.

Zunächst waren wir nur zu dritt und mussten überlegen, mit welchem Hebel wir Wirkung erzielen können. Deshalb haben wir unsere Kampagnen auf Finanzinstitutionen ausgerichtet. Die meisten Finanzinstitutionen wollen Reputationsrisiken meiden, während fossile Konzerne sich wenig um die öffentliche Meinung scheren. Heute hat Urgewald 50 Mitarbeiter:innen, die daran arbeiten, zerstörerischen Industrien den Geldhahn zuzudrehen.

Macht der Ukraine-Krieg Ihren Kampf leichter, weil die Energiewende beschleunigt wird?

Das letzte Jahr war alles andere als leicht. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Russland, mit denen wir viele Jahre kooperiert hatten, wurden zerschlagen. Und durch unsere enge Zusammenarbeit mit ukrainischen Partner-NGOs war uns der Horror des russischen Überfalls ständig präsent. Gefühlt waren wir im letzten Jahr ständig im Einsatz.

 

Die fossile Industrie ignoriert alle planetaren Grenzen und bedroht unsere Zukunft.

Heffa Schücking

 

Was heißt das konkret?

Unsere Spezialität sind Firmen- und Finanzrecherchen. Wir veröffentlichen jedes Jahr eine Kohleindustrie-Datenbank und eine Datenbank, die alle Öl- und Gasproduzenten abbildet. Zudem recherchieren wir, welche Banken und Investoren hinter diesen Firmen stehen.

Sie haben Russlandgeschäfte von Firmen recherchiert?

Ja. Unsere Recherchen haben nachvollziehbar gemacht, welche internationalen Finanzinstitutionen und welche internationalen Öl- und Gasfirmen am engsten mit der russischen fossilen Industrie verbandelt sind. Wir haben rund um die Uhr gearbeitet, um diese Kooperationen öffentlich zu machen und haben deshalb sehr früh ein Embargo für russische Energielieferungen gefordert.

Einige internationale Öl- und Gasfirmen haben schnell ihr Russlandgeschäft abgestoßen, andere haben weiter Geld verdient…

Auch das haben wir dokumentiert. Über 40 internationale Öl- und Gasunternehmen, darunter etwa Wintershall Dea mit Hauptsitz in Deutschland, Shell und BP, betreiben immer noch außerhalb Russlands Gemeinschaftsunternehmen mit russischen Öl- und Gaskonzernen – etwa in Mexiko oder afrikanischen Staaten. Auch diese Geschäfte helfen, die russische Kriegskasse zu füllen. Und Siemens Energy hat noch Geschäftsbeziehungen zur russischen Atomfirma Rosatom, der auch das russische Atomwaffenprogramm untersteht.

Hat die Gesellschaft eine Verantwortung für diese Geschäfte, weil wir es ja warm haben wollten?

Die Verantwortung würde ich da lassen, wo sie hingehört: in den Chefetagen der Konzerne und bei der Politik. Sie sind verantwortlich dafür, dass die Energiewende in Deutschland ausgebremst wurde, um stattdessen auf billige fossile Energie aus Russland zu setzen.

Kommt die Energiewende jetzt schneller oder nicht?

Die Energieknappheit zwingt uns in Deutschland zu höherem Tempo. Bedenklich ist aber, dass viele Flüssiggasterminals gebaut werden. Die sind mit unseren Klimazielen nicht vereinbar.

Es herrscht Krieg, da kann man doch nicht nur aufs Klima pochen.

Doch. Denn fossile Unternehmen sind weltweit immer noch auf Expansionskurs. Unsere Recherchen zeigen, dass die Hälfte aller Kohleunternehmen immer noch neue Kohleprojekte plant und dass fast alle Öl- und Gasproduzenten eifrig neue fossile Lagerstätten erschließen. Die fossile Industrie ignoriert alle planetaren Grenzen und bedroht unsere Zukunft.

 

Einen Öl-Konzern werden wir nicht dazu bringen, sein Geschäftsmodell zu ändern. Die Investoren dahinter sind oft beeinflussbar.

Heffa Schücking

 

Was genau tun Sie denn dagegen?

Unsere Datenbanken zu Kohle-, Öl- und Gasunternehmen sind ein wichtiges Instrument für Investoren. Dort bilden wir ab, wie viel Kohle oder Öl ein Unternehmen produziert hat und welche neuen Projekte es plant. Die Internationale Energieagentur warnt, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke und -minen und die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar sind. Mit unseren Datenbanken können Investoren direkt nachvollziehen, welche Unternehmen sich nicht um diese Warnung scheren.

Das soll Investoren abhalten?

Einen Öl-Konzern werden wir nicht dazu bringen, sein Geschäftsmodell zu ändern. Die Investoren dahinter sind oft beeinflussbar. Nehmen wir den „Norwegian Government Pension Fund Global“. Er ist einer der weltweit größten Staatsfonds und war auch einer der Top-Ten-Investoren in der globalen
Kohleindustrie. Der Fonds ist so groß, dass die norwegische Staatsbank gar nicht wusste, in was die so alles investierten.

Das haben Sie recherchiert?

Ja, wir haben dafür 8000 Firmen unter die Lupe genommen und Kohleinvestitionen von rund acht Milliarden Euro im Pensionsfonds offengelegt. Wir haben gleichzeitig eine Kampagne mit norwegischen NGOs organisiert und mit ihnen Betroffene aus Ländern wie Kolumbien, Südafrika und den Philippinen ins norwegische Parlament eingeladen.

Die haben emotionalisiert.

Die haben Fakten gezeigt. Etwa, wie eine Firma ganze Bergkuppen einfach sprengen ließ. Das fanden die naturliebenden Norweger gar nicht gut. Wir hatten Banker, die mit Tränen in den Augen fassungslos fragten: Da sind wir involviert? Am Ende, das war 2015, haben wir gewonnen, der Pensionsfonds hat sich aus einem Großteil seiner Kohlegeschäfte zurückgezogen.

 

Je mehr Versicherungen und Investoren abspringen, umso teurer wird es für Konzerne, ihre fossilen Expansionspläne zu realisieren.

Heffa Schücking

 

War das eine Ausnahme, also der Tropfen auf den heißen Stein?

Nein, wenige Monate später hat der Versicherer Allianz ähnliche Kohle-Ausschlusskriterien übernommen. Inzwischen beginnen europäische Versicherer, ihr Öl- und Gasgeschäft einzuschränken. Munich RE, der größte Rückversicherer weltweit, hat angekündigt, ab 2023 keine Rückversicherungen für die Erschließung neuer Öl- und Gasfelder mehr zu übernehmen. Je mehr Versicherungen und Investoren abspringen, umso teurer wird es für Konzerne, ihre fossilen Expansionspläne zu realisieren.

Wie kommt man mit Finanzinstitutionen ins Gespräch?

Früher haben sich Banken taub gestellt, wenn wir um Gesprächstermine gebeten haben. Daraufhin haben wir ihre Aktionärsversammlungen besucht. Als wir dort viel Applaus und viele Stimmrechtsübertragungen bekommen haben, wollten die Entscheider plötzlich doch mit uns reden. Heute ist es leichter. Trotzdem muss man sehr gut im Stoff sein, Sachkenntnis ist entscheidend. Man muss freundlich sein und hartnäckig wie ein Pitbull zugleich. Hat der mal zugeschnappt, wird man ihn nicht mehr los.

Wie finanziert sich Urgewald selbst?

Vor allem über viele Einzelspender, das waren 2021 mehr als 3500 Menschen; und durch Förderstiftungen wie etwa die European Climate Foundation, Misereor oder die Grassroots Foundation. Wir haben so 2021 rund 3,9 Millionen Euro eingenommen.

Ihre Eltern, die noch den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, sind in die USA, nach Texas, ausgewandert; Sie waren als Kind mit ihnen auf Demos gegen den Vietnam-Krieg. Prägt das?

Auf jeden Fall. Durch meine Eltern habe ich früh gelernt, mich nach meinem eigenen Kompass auszurichten und mich nicht an dem Mainstream zu orientieren.

Stimmt die Anekdote, dass Sie in der 8. Klasse während des Vietnam-Kriegs ein Referat über Ho Chi Minh gehalten haben?

Sie stimmt, und es gab richtig Ärger. Aber meine Mutter hat mich verteidigt und war stolz auf mich.

Sie haben als Biologie-Studentin angefangen, für den Regenwald zu kämpfen, weil er die Lebensgrundlage der von Ihnen erforschten Primaten ist. Wann war Ihnen klar: Wir sind die Bösen?

Ich hab bereits während des Studiums NGOs in Tropenländern angeschrieben, um sie zu fragen, was man tun könnte. Ihre Antwort war sehr eindeutig. Sie schrieben: Es sind eure Bergbau-, Öl-, Staudamm- und Holzfirmen, die unsere Regenwälder bedrohen. Und es sind eure Banken und Entwicklungsgelder, die dies finanzieren. Sie haben mir die Marschrichtung für meine Arbeit gezeigt.

Hat sich im europäischen Bewusstsein etwas geändert?

Wir haben kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der wir alle geplanten fossilen Projekte in Afrika auflisten und die 200 Unternehmen, die dafür verantwortlich sind, allen voran der französische Konzern Total Energies.

Was passiert in Afrika?

In 48 von 55 afrikanischen Ländern sind Öl-, Gas- und Kohleunternehmen dabei, neue fossile Reserven zu erschließen oder neue fossile Projekte zu bauen: Öl-Pipelines, Flüssiggas- Terminals, Gas- und Kohlekraftwerke. Diese enormen Ausbaupläne für fossile Brennstoffe sind völlig unvereinbar mit
den Pariser Zielen und zwingen afrikanische Länder auf einen veralteten und kohlenstoffintensiven Energiepfad.

 

Man wird später fassungslos auf uns zurückschauen. Niemand wird verstehen können, warum wir nicht schneller und entschlossen gehandelt haben, um das Klima zu bewahren.

Heffa Schücking

 

Wäre Urgewald eine Netflix-Serie, wäre der Inhalt der ewige Kampf David gegen Goliath. Oder sind die Kräfteverhältnisse
längst andere?

Die Konzerne, gegen die wir angehen, sind reich, mächtig und verfügen über enormen Einfluss auf die Politik. Andererseits sind neue, machtvolle gesellschaftliche Bewegungen entstanden, wie Fridays for Future. Wir werden sehen, wie das Staffelfinale ausgeht.

Erkennen Sie die junge Heffa Schücking in diesen neuen Bewegungen wieder?

Ich bin diesen Bewegungen sehr zugetan, und wir arbeiten an vielen Stellen zusammen.

Wären Sie jetzt in dem Alter vieler Klimaaktivist:innen, würden Sie sich an Autobahnen festkleben oder in politischen Talk Shows sitzen?

Beides wäre nicht so meines. Ich bin eine Freundin zivilen Ungehorsams, würde mich aber eher dort festkleben, wo die Entscheider sitzen.

Wie kämpft man einen so langen Kampf, ohne frustriert zu sein?

Selbstwirksamkeit ist ein guter Schutz gegen Depression. Und unsere Arbeit ist wirksam. Über 70 große Finanzinstitutionen haben die Zusammenarbeit mit Firmen aufgekündigt, die neue Kohlekraftwerke oder Minen planen.

Keine Angst vor der Zukunft?

Doch. Ich bin gerade Großmutter geworden und frage mich natürlich, in welcher Zukunft mein Enkel leben wird. Ich denke, man wird später fassungslos auf uns zurückschauen. Niemand wird verstehen können, warum wir nicht schneller und entschlossen gehandelt haben, um das Klima zu bewahren.

Das 1,5-Grad-Ziel ist vermutlich bereits unerreichbar, ein neuer Hitzerekordsommer droht: Sind Sie ratlos, wütend, traurig oder angriffslustig?

Angriffslustig – wir müssen um jedes Zehntelgrad kämpfen.

 

Zur Person
Heffa Schücking, 63, wuchs in Texas auf, wo ihr deutscher Vater als Astrophysiker arbeitete; schon als Studentin engagierte sie sich für die Regenwälder.
Mit dem „Rainforest Memorandum“, das sie 1988 vorbereitete, legte sie die Verbindung zwischen dem Konsum in nördlichen Industriestaaten und der Zerstörung des tropischen Regenwaldes offen und dokumentierte Deutschlands Verantwortung für die Zerstörung des Regenwaldes.
1994 bekam sie für ihren Einsatz den renommierten Goldman-Umweltpreis. Zwei Jahre zuvor gründete sie 1992 die NGO Urgewald mit sehr wenigen Leuten und machte ihr Engagement zum Beruf.