Klumpenrisiko „Schulden“, die deutsche Chinastrategie und Glaubwürdigkeit

Kommentar von erlassjahr.de und urgewald
Puzzle China- und Deutschlandflagge

Neben der Klimakrise ist die weltweite Verschuldung vor allem der Länder des Globalen Südens eine globale existentielle Bedrohung. Wie hier dargestellt ist dies lange auch ein ideologisch aufgeheiztes politisches battle field. Staaten wie Sri Lanka oder Surinam, die sich in einer existentiellen Krise befinden, werden zwischen Schuldzuweisungen zerrieben.


Die deutsche China-Strategie, die am 13. Juli 2023 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, geht auch auf die Zusammenarbeit mit China in Bezug zur Lösung von Staatsschuldenkrisen in Ländern des Globalen Südens ein. Die Bundesregierung verweist dabei auf die „besondere“ internationale Verantwortung Chinas für diese, als größter bilateraler öffentlicher Gläubiger in vielen der Länder im Globalen Süden.


Unklar bleibt, wie sich die Bundesregierung die strategische Zusammenarbeit mit China vorstellt, um Blockaden in laufenden Schuldenrestrukturierungen wie etwa in Sri Lanka genau wie im Hinblick auf die Weiterentwicklung zu einem fairen, transparenten und umfassen Staateninsolvenzverfahren, wie es im Koalitionsvertrag der laufenden Legislaturperiode steht, zu lösen. In aktuellen Restrukturierungsverhandlungen – sei es mit Sri Lanka, Sambia oder Surinam – scheint Peking beispielsweise nicht bereit zu sein, echte Schuldenerlasse bereitzustellen. Vielmehr wird versucht, der Krise kurzfristig durch Zahlungsverlängerung und Anpassungen im Schuldendienst mit minimalem Erlasseffekt zu begegnen. Dadurch drohen – wie aktuell in Sambia – die Fehler der 1980er Jahre wiederholt zu werden, in denen die Krise durch unzureichende Erlasse immer weiter verschleppt wurde. Auch beim letzten G20-Finanzminister*innen-Treffen am 17. und 18. Juli 2023 zeigten sich größere Differenzen zwischen den Parteien und gleichzeitig wenig Fortschritt, diese
Differenzen zu lösen.


Während China zwar im Vergleich zu anderen staatlichen bilateralen Gebern der größte Gläubiger von Staaten ist, sind aggregiert gesehen private Gläubiger wie Anleger und Banken sowie multilaterale Gläubiger wie die Weltbank die größten Gläubigergruppen in Ländern des Globalen Südens. Während sich multilaterale Gläubiger mit Bezug auf einen bevorzugten Gläubigerstatus gar nicht an Schuldenrestrukturierungen beteiligen ist die umfassende und ausreichende Beteiligung privater Gläubiger keineswegs sichergestellt. Am Schuldenmoratorium Debt Service Suspension Initiative beteiligten sich private Gläubiger praktisch gar nicht, in aktuellen Länderfällen wie Surinam sicherten sich private Gläubiger einen attraktiven Deal, bei dem unwahrscheinlich ist, dass die Schuldentragfähigkeit des Landes wieder hergestellt wird.


Beide Gläubigergruppen liegen im Einflussbereich westlicher Staaten inklusive der Bundesregierung, somit haben hier diese Staaten eine besondere Verantwortung. In den vergangenen zwei Jahren wurde die blockierende Haltung Chinas häufig als Grund genannt, warum es keine Fortschritte bei der Reform von Verfahren zur Lösung von Schuldenkrisen gebe. Reformen im eigenen deutschen Verantwortungsbereich, die die faire Lastenteilung bei Schuldenerlassen verbessert und damit auch einen Kompromiss mit China hätte wahrscheinlicher machen können, sind von westlicher Seite nicht erfolgt. Strategisch gesehen hätte die deutsche Chinastrategie sehr davon profitiert.


Um zu vermeiden, dass fehlende Lösungen für Schuldenkrisen die Agenda 2030 in kritisch verschuldeten Ländern gefährden, ist es wichtig, kooperativ mit China zusammenzuarbeiten, dabei aber gleichzeitig auf die Gewährung ausreichend tiefer Erlasse zu bestehen. Die Bundesregierung kann dabei selbst Kompromisse in die Diskussion bringen und dadurch die gegenseitige Blockierung aufzulösen – was auch Teil einer proaktiven Chinastrategie wäre. Dies kann die Bundesregierung vor allen Dingen in den Ländern tun, in denen sie selbst Gläubiger ist, wie Sri Lanka, die sich in einer laufenden Schuldenrestrukturierung befinden.


Konkret sollte die Bundesregierung folgende Maßnahmen ergreifen:
 

  • Die Bundesregierung muss ihrer eigenen Verantwortung nachkommen und sich für die verbindliche Beteiligung privater und multilateraler Gläubiger an umfassenden Schuldenerlassen einsetzen. Erst dann sind Apelle gegenüber China glaubhaft.
  • Die Bundesregierung sollte den Diskurs, dass China allein hauptverantwortlich für die Krise in Ländern des Globalen Südens sei, einstellen.
  • Die Bundesregierung sollte gesprächsbereit bleiben und Austauschformate unterstützen, in denen sich mit China über Verfahrensfragen von Schuldenrestrukturierungen ausgetauscht wird. Zudem sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass solche Austauschformate – wie beispielsweise der Sovereign Debt Roundtable – inklusiv gestaltet werden und Schuldnerstaaten mit am Tisch sitzen.
  • Die Bundesregierung sollte – wenn die zuvor genannten Schritte ausgeschöpft sind – Schuldnerländern die umfangreiche Streichung der eigenen Forderungen und die Bereitstellung neuer Finanzierungen anbieten und davon abhängig machen, dass China sich entweder an Erlassen zu vergleichbaren Bedingungen beteiligt oder dass die Schuldnerstaaten ihre Rückzahlungen gegenüber China vorübergehend einstellen. Deutschland sollte sich bei befreundeten Regierungen und in internationalen Finanzorganisationen dafür einsetzen, eine solche Strategie gemeinsam zu verfolgen.
  • Die Bundesregierung darf Kapitalerhöhungen bei Weltbank, AIIB und anderen MDBs nur nach grundlegender inhaltlicher Reform zustimmen. Ein „more of the same“ wird die Krisen der Welt nicht lösen.
  • Die Bundesregierung muss weiter darauf hinarbeiten, dass Länder Zugang zu Verfahren erhalten, die eine ausreichende Lösung der Schuldenkrise sicherstellen. Bisherige Verhandlungen und Abkommen, wie in Sambia deuten darauf hin, dass im Interesse eines mehr oder weniger raschen Kompromisses mit weniger kooperativen Gläubigern, inklusive China, Schuldenrestrukturierungen akzeptiert werden, die nicht vollumfänglich im Interesse des Schuldnerlandes und seiner Schuldentragfähigkeit sind.
  • Die Bundesregierung sollte im Sinne des Koalitionsvertrags auf kodifizierte Verfahren in der internationalen Schuldenpolitik hinarbeiten, die Interessensgegensätze zwischen Gläubiger und Schuldner fair und unabhängig lösen können.

 

Kontakt:

Kristina Rehbein
Politische Koordination
erlassjahr.de
k.rehbein@erlassjahr.de

Dr. Nora Sausmikat
Head of China Desk
urgewald e.V.
nora.sausmikat@urgewald.org

 

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