Neues Klima-Ranking für die Versicherungsbranche: Nach der Kohle beginnen Versicherer den Öl- & Gasausstieg

Pressemitteilung
Berlin 19.10.2022

Nach Beschränkungen im Kohlebereich geben sich Versicherungsunternehmen zunehmend Ausschlüsse bei Öl und Gas. Das zeigen neue Analysen des Kampagnennetzwerks „Insure Our Future", zu dem die deutsche Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald gehört.

Mit Blick auf die in Kürze stattfindende UN-Klimakonferenz COP27 fordert Insure our Future, dass Versicherer nun Expansion im fossilen Bereich endlich kategorisch ausschließen. Zudem sollen sie ihre Netto-Null-Verpflichtungen effektiv einhalten.

Die jährlich erscheinende „Scorecard“ von Insure Our Future bewertet die 30 weltweit führenden Versicherer im Bereich fossiler Energien nach der Qualität ihrer entsprechenden Richtlinien.

Ergebnisse der diesjährigen Insure our Future-Scorecard:

  • Allianz, AXA und Axis Capital schneiden mit ihren jeweiligen Kohlerichtlinien am besten ab, während Aviva, Hannover Re und Munich Re bei den Ausschlüssen von Öl und Gas führen.
  • Am Ende der fossilen Versicherungsrangliste steht eine Gruppe von Versicherern, die sich noch keine Beschränkungen für die Deckung von Kohle-, Öl- oder Gasprojekten auferlegt haben, darunter die US-Versicherer Berkshire Hathaway und Starr sowie Everest Re von den Bermudas. Lloyd's of London aus Großbritannien schneidet ebenfalls sehr schlecht ab, weil der Versicherungsmarkt seine im Jahr 2020 veröffentlichte Kohlerichtlinie im Nachhinein für nicht bindend erklärt hatte.
  • Liberty Mutual, Chubb und Tokio Marine haben zwar einige Beschränkungen für Kohle beschlossen, versichern aber die Expansion der Öl- und Gasindustrie. Die chinesischen Versicherer PICC und Sinosure haben keine Beschränkungen für fossile Brennstoffe eingeführt, dürften aber der Ankündigung der chinesischen Regierung aus 2021 folgend keine neuen Kohlekraftwerke im Ausland mehr versichern.
  • Zum Zeitpunkt der letztjährigen COP26 im schottischen Glasgow hatten nur Suncorp, Generali und AXA Beschränkungen für die Versicherung konventioneller Öl- und Gasprojekte eingeführt. Seitdem haben Allianz, Aviva, Fidelis, Hannover Re, KBC, Mapfre, Munich Re, SCOR, Swiss Re und Zurich nachgezogen. Damit ist die Gesamtzahl umfassender Öl- und Gasrichtlinien auf 13 gestiegen. Infolgedessen ist der Marktanteil der Rückversicherer mit Öl- und Gasbeschränkungen von 3% auf 38% gestiegen und bei Erstversicherern von 5% auf 15%. Zudem: 18 (Rück-)Versicherer haben sich bisher öffentlich gegen eine Unterstützung für die kanadische Trans-Mountain-Pipeline ausgesprochen; im Fall der East African Crude Oil Pipeline (EACOP) sind es 16.
  • Während die Anzahl der Richtlinien im Öl- und Gasbereich per se zunimmt, ist die Qualität sehr uneinheitlich. Aviva und Hannover Re haben im Wettbewerbsvergleich die stärksten Öl- und Gasrichtlinien, sind aber keine großen Akteure im Öl- und Gassektor. Da ist es bedeutsamer, dass sich nun Munich Re, Swiss Re und Allianz ehrgeizige Richtlinien gegeben haben und insbesondere die Versicherung der meisten bzw. aller neuen Öl- und Gasförderprojekte (Expansion im Upstream-Bereich) ablehnen.
  • AXA und Zurich, beides große Öl- und Gasversicherer, haben dagegen nur halbherzige Schritte unternommen: Sie haben sich lediglich dazu verpflichtet, die Versicherung für Ölexploration einzustellen, nicht aber für neue Ölförderung, geschweige denn für neue Gasexploration oder -förderung. Große Versicherer für fossile Energien wie AIG, Chubb, Lloyd's und Tokio Marine haben dagegen noch gar keine Beschränkungen für konventionelles Öl und Gas eingeführt.
  • Kohle ist außerhalb Chinas fast unversicherbar geworden. Die Zahl der Kohlerichtlinien in der globalen Versicherungsbranche ist im vergangenen Jahr von 35 auf 41 gestiegen, wobei sich die großen US-Versicherer AIG und Travelers schließlich dem Druck von Investoren und Zivilgesellschaft gebeugt haben. Der Marktanteil der Versicherer mit Kohleausschlüssen hat nunmehr 62% in der Rückversicherung und 39% in der Erstversicherung erreicht. Viele der verbleibenden Versicherer ohne Kohleausschlüsse haben keine Erfahrung im Bereich Kohleversicherung und können deshalb nicht in die Bresche springen, schlussfolgert Insure our Future im neuen Scorecard-Bericht.

Peter Bosshard, globaler Koordinator der Kampagne Insure Our Future und Hauptautor der Scorecard: „Versicherungen sind die Achillesferse der fossilen Energiewirtschaft und sie können gleichzeitig den Übergang zu sauberer Energie beschleunigen. Alle Versicherungsunternehmen müssen ihr Geschäft unverzüglich auf das 1,5-Gradziel des Pariser Abkommens ausrichten und insbesondere keine neuen Kohle-, Öl- und Gasprojekte mehr versichern.“

Regine Richter, Versicherungs-Kampaignerin bei urgewald: „Es ist ein wichtiges Signal, dass sich Versicherer auf den Weg machen, Öl und Gas auszuschließen. Aber gerade im Gasbereich und dort, wo es um Versicherung von Unternehmen, sprich über Projekte hinaus geht, müssen auch die fortschrittlichen Versicherer noch nachbessern, wenn sie eine positive Rolle beim Klimaschutz spielen wollen. Aktuell können sie mit ihren Richtlinien immer noch zu einem fossilen Lock-in beitragen. In Deutschland liegt das Augenmerk jetzt klar auf Talanx. Dem Konzern fehlt eine umfassende Öl- und Gasrichtlinie völlig, obwohl (oder weil?) die Tochter HDI Global im Gasbereich sehr aktiv ist.“

Platzierungen der deutschen Versicherer im internationalen Ranking:

Allianz             Platz 1
Hannover Re    Platz 8
Munich Re       Platz 9
Talanx/HDI       Platz 13

Drei deutsche Versicherer sind unter den Top 10 mit Blick auf den Ausschluss von fossilen Energien. Allianz (1. Platz), Hannover Re (8. Platz) und Munich Re (9. Platz) haben den Versicherungsschutz für die meisten Öl- und Gasprojekte ausgeschlossen. Talanx-HDI Global bleibt ein großer Öl- und Gasversicherer mit einer Bewertung in der Insure our Future-Scorecard von 2,3/10. Im Gegensatz zu Hannover RE hat Talanx-HDI Global noch keine Öl- und Gasversicherungsrichtlinie eingeführt.

Katastrophen-Kapitalismus

2021 schätzte Munich Re, dass Klimakatastrophen Schäden in Höhe von 280 Milliarden US-Dollar verursachten, im Vergleich zu 210 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 und 166 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019. Zuletzt hat Hurrikan Ian gezeigt, dass Risiken, die durch die Klimakatastrophe verursacht werden, für immer größere Teile der Bevölkerung entsprechende Versicherungen unerschwinglich machen.

Während zahlreiche Rückversicherer ihre Risikoposition gegenüber Naturkatastrophen beendet oder reduziert haben, sehen die größten Akteure - insbesondere Munich Re, Swiss Re und Hannover Re - Klimarisiken auch als Geschäftschance und haben ihre Tarife für die Deckung von Naturkatastrophen erhöht. Die Versicherungsunternehmen geben diese Prämienerhöhungen an ihre Kund*innen weiter.

Hierzu Regine Richter: „Man kann nicht erwarten, dass die Versicherungs-gesellschaften die wachsenden Kosten von Klimakatastrophen allein auffangen. Aber es ist inakzeptabel, dass sie die betroffenen Gemeinden im Stich lassen, während sie gleichzeitig die Klimakatastrophe weiter anheizen, indem sie insbesondere fossile Expansion immer noch nicht kategorisch ausschließen.“

Zudem: Viele klimawandelbedingte Katastrophen können in Wahrheit nicht mehr als „Naturkatastrophen“ bezeichnet werden. Da sich die Ursachenforschung verbessert hat, können die Versicherungsgesellschaften theoretisch heute feststellen, welche fossilen Energieunternehmen zu ihren wachsenden Verlusten und sogar in welchem Umfang beitragen. Anstatt diese Kosten auf ihre Kund*innen abzuwälzen, sollten die Versicherer die fossilen Energieunternehmen verklagen und sie zwingen, für die von ihnen direkt verursachten Schäden aufzukommen. Ein solch juristisches Vorgehen würde die wahren Verursacher zur Kasse bitten. Außerdem würde das die Versicherung von Klimarisiken erschwinglich halten und die fossilen Energieunternehmen zwingen, Expansion zu stoppen und ihre bestehende Produktion im Einklang mit dem 1,5-Gradziel zurückzufahren.

Die Grenzen der freiwilligen Verpflichtungen

Im Juni forderte die UN-Kampagne Race to Zero, dass die Mitglieder von Net-Zero-Allianzen aus allen fossilen Brennstoffen ohne CCS (englischer Fachbegriff: „unabated“) aussteigen. Doch Renaud Guidée, Vorsitzender der Net-Zero Insurance Alliance, sagte, dass er trotz der neuen UN-Kriterien nicht vorhabe, von den 29 aktuellen Mitgliedern der Allianz zu verlangen, die Deckung von Projekten für fossile Brennstoffe auszuschließen.

Dies zeigt die Grenzen freiwilliger Maßnahmen des Versicherungssektors. Deshalb ist eine stärkere Regulierung notwendig. Im Juni verbot die EU im Rahmen ihrer Sanktionen gegen Russland die Bereitstellung von Versicherungen für den Transport von russischem Rohöl und zeigte damit, dass die Regulierungsbehörden in Krisensituationen schnell und effektiv handeln können.

Regine Richter: „Der Klimanotstand ist die entscheidende Krise des 21. Jahrhunderts. Die Politik sollte endlich entschlossen handeln und die Versicherer zwingen, ihre Geschäfte auf den 1,5°C-Pfad auszurichten."

 

Hinweis

Die Insure our Future-Scorecard 2022 befindet sich unten rechts auf dieser Seite zum Download.

Insure Our Future ist eine globale Kampagne von 24 Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen aus 14 Ländern, die die globale Versicherungsbranche für ihre Rolle in der Klimakrise zur Verantwortung ziehen wollen. Sie fordert die Versicherungsunternehmen insbesondere dazu auf, ab sofort keine fossile Expansion mehr zu versichern und die Unterstützung für bestehende Kohle-, Öl- und Gasprojekte mit Blick auf das 1,5-Gradziel auslaufen zu lassen. Die deutsche Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald ist Mitglied der globalen Kampagne. 

Kontakt

    Bild Anprechpartner   Regine Richter

    Regine Richter
    Kampagnen zu öffentlichen Banken
    regine [at] urgewald.org
    +49 (0)170 2930725

    Bild Anprechpartner   Stefanie Jellestad

    Stefanie Jellestad
    Pressesprecherin
    stefanie.jellestad [at] urgewald.org
    +49 (0)30 863 29 22-60

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